Vorwort – Begegnung mit Hans Meiser
Prof. Dr. theol. Walter Rupprecht, OKR i.R.
„Im Grunde bietet die Vergangenheit dem Zeitgeist nur noch die Vorwände, Gericht zu halten. Allem Zurückliegenden nähert er sich nicht in der verstehenden Haltung des Historikers, sondern mit den Werkzeugen des Entlarvungstechnikers.“ Diese Feststellung des Hitlerbiographen Joachim Fest (Fest, S. 54) dürfte auch auf manches zutreffen, was über Hans Meiser gesagt und geschrieben wird, der 1933 bis 1955 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern war.
Die folgende Dokumentation versucht demgegenüber der Forderung des Historikers Siegfried A. Kaehler (1885-1963) nach „Reduktion des historischen Urteils auf den Stand der Zeitgenossen“ gerecht zu werden. Es war sein „Anliegen, nicht nur dem jeweiligen Zeitbewusstsein gerecht zu werden, sondern die Verfälschung ‚jüngerer Vergangenheit‘ zu vermeiden… Um die Gleichzeitigkeit, unter deren Gesetz die Zeitgenossen dachten und handelten, gleichsam wiederherzustellen, wird die Uhr auf die damalige Zeit gestellt und so aus der Kenntnis des zeitgenössischen Bewusstseins eine Quelle zur Erkenntnis der Sache erschlossen“ (Heimpel, S. 299). Der Versuch der Verfasser und Herausgeber der vorliegenden Untersuchung „in möglichst objektiver Weise über Leben und Werk Hans Meisers zu berichten“, scheint mir, dem Zeitzeugen, geglückt. Ich habe selbst als Sechzehnjähriger die dramatischen Ereignisse des Kirchenkampfs in Bayern 1934 miterlebt. Trotz meiner nationalen Begeisterung bei Hitlers Machtübernahme und seinen außenpolitischen Erfolgen bei der Revision des Versailler Vertrags bin ich zu einem bewussten Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung mit ihrer antichristlichen und rassistischen Tendenz geworden. Landesbischof Hans Meiser ist damals für mich und viele zur Symbolgestalt kirchlichen Widerstands geworden. Und die Bekenntnisgottesdienste 1937, die vor den von Hitler angeordneten und dann wieder abgesagten Kirchenwahlen in München, Nürnberg und anderen bayerischen Städten stattfanden, waren für mich ein zweiter Höhepunkt dieses Widerstands.
Ich erlebte in meinem Elternhaus freilich auch die kritische Distanz zu mancher kirchenpolitischen Entscheidung Hans Meisers und verstand die Gründe, warum mein Vater für Martin Niemöller Partei ergriff. Deshalb bin ich dankbar für die sachliche und objektive Darstellung der gegensätzlichen Positionen, die zwischen den „intakten“ und den „bruderrätlich“ bestimmten Landeskirchen aufbrachen und in der bayerischen Landeskirche mit Namen wie Karl Steinbauer und Freiherr von Pechmann verbunden sind. Die verschiedenen Positionen sind durch eindrucksvolle Dokumentationen belegt. Die Entscheidungen, die Hans Meiser traf, die „Zwickmühlensituation“, in die er dabei immer wieder geriet, die „Zerreißproben“, die er damals durchzustehen hatte, die „Gratwanderungen“, zu denen er sich gezwungen sah, das alles wird verständlich gemacht auf dem Hintergrund seines Lebenswegs, seiner lutherischen Grundposition und der Verantwortung, die auf ihm als Landesbischof für den Fortbestand der Landeskirche und ihres Verkündigungsauftrags lag. Dabei werden Schwächen, Fehler und fragwürdige Entscheidungen nicht verschwiegen oder beschönigt. Hans Meiser hat ja selbst mehr als einmal Versagen und Schuld bekannt.
Auch die Position des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche wird sachlich und einleuchtend dargestellt. Die verschiedenen Situationen und Perspektiven machen dabei in vielen Fällen verständlich, warum es oft zu gegensätzlichen Entscheidungen kommen musste. Wohltuend ist es, dass dabei auf moralische Urteile oder gar Verurteilungen verzichtet wird. Es bleibt dem Leser überlassen, sich selbst ein Urteil zu bilden. Ich entdecke trotz der verschiedenen, oft gegensätzlichen Standpunkte und Entscheidungen die gleiche Grundposition. Sie ist verankert im Gehorsam gegen den Herrn der Kirche und in der Bindung an das dadurch bestimmte Gewissen. Und ich durchlebe im Nachhinein im eigenen Herzen die ganze spannungsvolle Schwere der Entscheidungen auf beiden Seiten.
Ein entscheidendes Datum im Widerstand gegen Hitler bleibt für mich als historisches Faktum und persönliches Erlebnis, dass dessen einzige innenpolitische Niederlage seit seiner Machtübernahme dem Widerstand der Bischöfe Hans Meiser und Theophil Wurm im Herbst 1934 zu verdanken ist.