Zur aktuellen Diskussion

Die Vorwürfe gegen Landesbischof Meiser


„Aktuelle Diskussion“

Es ist gewiss eine der ganz großen Merkwürdigkeiten der Geschichte, dass Hans Meiser, dem ersten Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, der 1934 von den Nationalsozialisten aus Amt und Würden vertrieben werden sollte („Fort mit Landesbischof Meiser!“ stand 1934 überall in Nürnberg zu lesen), heute, 72 Jahre später, ausgerechnet von demokratischen Kräften dasselbe Schicksal zugewiesen werden soll.

Damals wurde er vom Terrorregime aufgrund seiner Hitler feindlichen Kirchenpolitik und seiner philosemitischer Aussagen in einem Artikel von 1926 als „Verräter“ und „Judenknecht“ angegriffen, heute wollen un-, falsch oder desinformierte Presse und Öffentlichkeit aufgrund desselben Artikels (!) in ihm einen Antisemiten und „Nazi-Bischof“ sehen.

In den Jahren 1999/2000 sowie 2006 wurde Hans Meiser Opfer wüster Hetzkampagnen, die denen der Nazis aus den Jahren 1934/35 in nichts nachstehen. So liegt der Verdacht nahe, dass Hans Meiser, der bislang als die Symbolfigur des kirchlichen Widerstandes gegen dass „Dritte Reich“ bei allen politischen Parteien in höchstem Ansehen stand, heute bewusst demontiert werden soll. Anders ist es nicht zu verstehen, dass einige Unaufgeklärte, denen der Zugang zu den Quellen problemlos offen steht, ohne geringste Beachtung derselben Hans Meiser bedenkenlos einer öffentlichen posthumen Hinrichtung zugeführt sehen wollen und sich auch noch selbst daran beteiligen. Die Meiser-Kritik hat ihre Wurzeln hauptsächlich in der Unkenntnis der wahren Umstände. Untersucht man hingegen, wie die Verhältnisse wirklich waren, und fragt sich, was ihn zu seinem Handeln bewegt hat, so kommt man zu gänzlich anderen Schlüssen als jenen, die derzeit in der Öffentlichkeit kursieren. Es eine unendliche Fülle an Material, das – wertet man es richtig aus – einen gänzlich anderen Hans Meiser zeigt als den, dessen Lebenswerk gegenwärtig zunichte gemacht werden soll.

Ich nenne nun die Hauptvorwürfe gegen Hans Meiser und zeige jeweils danach ihre Unhaltbarkeit auf.

„Hans Meiser war Antisemit“

Tatsache ist: Es gibt keine (!) anderen (weder mündlich noch schriftlich!) antisemitischen Äußerungen von Hans Meiser als jene im Artikel von 1926, die z.T. nicht einmal direkt von ihm selbst, sondern aus entsprechendem Material stammen. Der Artikel, der aufgrund einer aktuellen Diskussion geschrieben wurde, befasst sich mit der Frage, wie sich Christen Juden gegenüber zu verhalten hätten. Zunächst stellt der Autor Überlegungen allgemeiner Art zum Judentum an, dann gibt er in drastischen Worten die damalige antisemitische Stimmung wieder, um schließlich zu versöhnlichen Schlussfolgerungen wie diesen zu gelangen: „Vor allem können wir jenen keine Gefolgschaft leisten, die Juden bloß um ihrer Rasse willen von vorneherein und ohne Ausnahme als minderwertige Rasse ansehen… Gott hat uns nicht zur gegenseitigen Vernichtung, sondern zur gegenseitigen Förderung geschaffen… Der Kampf gegen das Judentum hat unter uns solche Formen angenommen, dass alle ernsten Christen förmlich genötigt sind, sich schützend vor die Juden zu stellen.“ (Bei Diskussionen um diesen Artikel werden o.g. Passagen bezeichnenderweise meist nicht zitiert). Man kann festhalten: Obwohl in diesem Aufsatz antisemitische Äußerungen vorhanden sind, die aber nicht aus Judenhass, sondern aus dem damaligen evangelischen Bedürfnis der Judenmission verfasst wurden, darf man daraus nicht schließen, dass Hans Meiser Antisemit war – denn u.a. zeigen folgende Fakten (s.beigefügte Dokumente) ein völlig anderes Bild:

– Seine öffentlichen Proteste 1933 (gegen Arierparagraph, gegen Verunglimpfung des AT etc.)

– Sein schriftlicher Protest 1934 an den bayerische Ministerpräsidenten Siebert gegen die wirtschaftliche Schädigung der Juden von Ansbach (wird in der Diskussion meist unterschlagen)

– Seine philosemtischen Aussagen im lutherischen Missionsbuch 1935 (!): „Als Christen sollen wir Juden 1. mit Freundlichkeit grüßen, 2. mit Selbstverleugnung tragen, 3. durch hoffende Geduld stärken, 4. mit wahrer Liebe erquicken, 5. durch anhaltende Fürbitte retten!“ Daraufhin erfolgte eine Hetze der Nazis gegen Hans Meiser als „Judenfreund“ sowie Angriffe gegen ihn im „Stürmer“ u.a. Blättern 1935

– Die finanzielle Unterstützung des Berliner „Büro Grüber“ als einzige aller Landeskirchen (!), das zur Betreuung von Nichtariern eingerichtet worden war. Hierzu setzte Hans Meiser zwei Pfarrer (Zwanzger, Jordan, letzterer getaufter Jude) ein. Die Arbeit wurde fortgesetzt, selbst als die Gestapo das Berliner Büro schloss.

– Die Protestbriefe des baden-württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm an Hitler aus den Jahren 1941 und 1943, die mit der Kircheführerkonferenz, zu der Hans Meiser gehörte, abgesprochen waren, wie Prof. Carsten Nicolaisen und der Passauer Dekan i.R. Albert Strohm bestätigen (Wurm wurde, da er der älteste der Konferenz war, zum Wortführer gewählt)

– Die Rettung von 65 Nichtariern allein in München (Bericht Pfarrer Zwanzger, Bericht Hugo Maser)

– Der Gedenkgottesdienst der drei Konfessionen (Juden, Katholiken, Protestanten) bei der Friedhofsweihe für die Opfer von Dachau im Jahr 1949

– Das Glückwunschschreiben des Oberrabbiners von Bayern, Dr.Aaron Ohrenstein, zum 69.Geburtstag von 16.2.1950

– Das Antwortschreiben Hans Meisers vom 21.2.1950 (beide Schreiben wurden erst Anfang Mai 2006 entdeckt)

Dass all diese Fakten in der öffentlichen Diskussion verschwiegen werden und stattdessen ausschließlich auf die negativen Aussagen des Artikels von 1926 hingewiesen wird, kann nur damit erklärt werden, dass man nicht wahrhaben will, dass Hans Meiser kein Judenfeind war – denn das hatten die Nazis nämlich erkannt.

Der Vorwurf, Hans Meiser hätte sich zu sehr um den Bestand der eigenen Kirche gekümmert, weshalb er die Nöte der vom Hitlerregime Bedrohten nicht gesehen hätte, ist aus folgendem Grund unsinnig: Nur eine in ihrem Bestand stabile Kirche war überhaupt in der Lage, Hilfestellung zu leisten – was Hans Meiser ja auch getan hat.

Die Versöhnung mit den Brüdern und Schwestern jüdischen Glaubens, so wie sie heute angestrebt wird, ist wichtig und richtig. Aber sie darf nicht zu Lasten von Hans Meiser geschehen. Denn dann würde es sich nicht um eine echte Versöhnung, sondern um ein Sühneopfer handeln.

„Hans Meiser schwieg zur Euthanasie“

Auch dieser Vorwurf entpuppt sich als unhaltbar, wenn man die Fakten kennt. Schon am 23.2.1940 wurde Hans Meiser bei Reichsstatthalter Ritter von Epp vorstellig, um gegen die Tötungsaktion der Nazis „in sichtlicher Erregung“ zu protestieren. Einige Monate später begannen die Geheimverhandlungen von Pastor von Bodelschwingh mit dem Naziregime. Um sie nicht zu gefährden, schrieb dieser: „Tut Ihr jetzt in den Gemeinden nichts in dieser Sache. Ihr gefährdet unsere Verhandlungen und Ihr gefährdet damit das Leben unserer Kranken“. Aus diesem Grunde – und nicht aus eventueller Feigheit – blieb der öffentliche Protest der Bayerischen Landeskirche aus.

Trotz dieser Tatsachen startete im Jahr 2000 der damalige Synodalpräsident Haack eine öffentliche Kampagne gegen Hans Meiser: Er habe zur Euthanasie geschwiegen. Die Presse reagierte prompt und versuchte den Altlandesbischof zu zerfleischen – bis sich öffentlicher Widerstand regte und die wirklichen Verhältnisse ans Licht kamen.

„Hans Meiser vereidigte die Pfarrer auf den Hitlergruß“

Der Vorwurf ist richtig. Wenn man allerdings weiß, dass Hans Meiser vom Staat vor die Alternative zwischen Hitlergruß oder Abschaffung des Religionsunterrichts gestellt wurde, müsste man eigentlich verstehen, dass er als Theologe und Kirchenmann den Hitlergruß als das kleinere Übel ansah. Leider übersah auch der BR-Film vom 31.5. 2006 dieses so wichtige Detail. Aus der Problematik, zwischen Opposition und erzwungener direkter oder indirekter Anpassung zu stehen, lassen sich viele Handlungen Hans Meisers erklären, denen eine unaufgeklärte Öffentlichkeit heute mit Unverständnis begegnet (Geburtstagstelegramm an Hitler, Glockenläuten bei Siegen etc.)

„Hans Meiser schwieg, als die Synagogen brannten“

Auch dieser Vorwurf ist richtig. Doch hier gilt ebenfalls: Wenn man weiß, dass nur kurz vorher die eben erst renovierte Matthäuskirche, die Mutterkirche der Protestanten in München, auf Befehl Hitlers abgerissen worden war, versteht man vielleicht die Überlegung Hans Meisers, dem klar war, dass jeder Protest weitere Zerstörungen von Gotteshäusern, egal welcher Religion, zur Folge haben würde.

„Hans Meiser fiel der Bekennenden Kirche in den Rücken“

Hans Meiser war 1934 Sprecher der gesamten kirchlichen Opposition. Mit dem von Pfarrer Niemöller geführten Pfarrernotbund arbeitete er lange zusammen. Ab 1936 hat Meiser die Opposition gegen den Staat und das staatliche Kirchenregiment allerdings anders geführt als der Pfarrernotbund, zu ihm jedoch immer Verbindung gehalten. Anderer Meinung zu sein und andere Maßnahmen für nötig zu halten ist noch lange kein „in den Rücken fallen“.

„Hans Meiser pries den erfolgreichen Polenfeldzug“

Der Text dieser unglückseligen Kanzelabkündigung stammt nicht von Hans Meiser, wie immer wieder behauptet wird, sondern von der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in Berlin, mit der die Bayerische Landeskirche nichts zu tun haben wollte. Dennoch hatten die Landeskirchen die Kanzelabkündigung weiterzugeben. In Bayern traf sie gar nicht rechtzeitig ein, so dass sie dort nicht verlesen werden musste.

„Hans Meiser paktierte mit dem Naziregime“

Dieser Vorwurf ist deshalb unsinnig, weil Hans Meiser ja selbst von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, da er sich erfolgreich gegen die Gleichschaltung durch die regimetreuen „Deutschen Christen“ stellte, weshalb er vom Staat als abgesetzt erklärt und zu Hausarrest verurteilt wurde. Hans Meiser musste sich stets zwischen Skylla und Charybdis bewegen. Denn er hatte sowohl seine Kirche und deren Mitglieder zu retten als auch anderen Bedrohten beizustehen. Dass er als Verantwortlicher nicht zum Tyrannenmord aufrief, ist eine Forderung lutherischer Ethik. Dass er der Meinung war (wie auch Pius XII. oder Kardinal Faulhaber), öffentlicher Protest würde nur noch mehr Schaden herbeiführen und den Verfolgten in keiner Weise helfen (weshalb die Hilfe in aller Stille zu geschehen hätte), darüber ist lange gestritten worden (und wird es wohl auch weiter noch werden). Doch wer möchte hierüber ein abschließendes Urteil aussprechen? Der Protestbrief holländischer Bischöfe kostete 40.000 Menschenleben, wozu hätte dann weiterer öffentlicher Protest wohl geführt? Die persönlichen Proteste Hans Meisers bei den zuständigen Behörden oder Personen verhallten ungehört, und öffentliche Protestaktionen hielt er für zu gefährlich. Was also hätte er tun sollen? Schon deshalb ist der Vorwurf, es gäbe „Verstrickungen Hans Meisers mit dem Naziregime“ haltlos. Das geht auch aus einem Satz Hans Meisers hervor, den er bei der Sitzung der Bayerischen Landessynode im Juli 1946 äußerte: „Nachträglich rühmt sich der Polizeipräsident von Nürnberg, dass ich und die Pfarrer von Mittelfranken es ihm zu verdanken hatten, dass wir nicht ins KZ kamen.“ Es bestand also eindeutig eine direkte Gefährdung.

„Es gibt kein Schuldbekenntnis Hans Meisers“

Auch diese Ansicht ist falsch, denn es existieren derer gleich sechs. Zwei aus der Zeit vor 1939 (Januar 1934, Juli 1938, die sich auf seine anfängliche Zustimmung zu Hitler beziehen) und drei nach Kriegsende (Stuttgart Oktober 1945, München Juli 1946, Lund Juni/Juli 1947, die das Versagen der Kirche betreffen). Das wichtigste Dokument aber wurde Ende Juli 2006 entdeckt. Bei der Friedhofsweihe für die Opfer des KZ Dachau am 16.12.1949 sagte Hans Meiser: „…Wir denken daran, dass wir alle durch den Ungeist der Zeit, der zu diesen Gräbern geführt hat, mitschuldig geworden sind…“ Und der Oberrabbiner Aron Ohrenstein mahnte: „Wir sind hier zusammengekommen, um mit den Vertretern der beiden anderen Religionen der ganzen Welt zu zeigen, dass wir uns im Geist des Verzeihens verständigt haben, und dass wir uns nicht von der Hetze beirren oder leiten lassen, die man wegen dieser Gräber entfacht.“

Man könnte die Liste der Vorwürfe gegen Hans Meiser und deren Entkräftungen noch fortsetzen, doch es ist nunmehr an der Zeit, sich die ernsthafte Frage zu stellen, weshalb Hans Meiser heute von Presse und Öffentlichkeit an den Pranger gestellt wird und dafür büßen soll, dass er

– allein in München 65 nichtarische Menschenleben rettete (die Zahlen für Restbayern sind nicht bekannt)

– die Kirche intakt durch das „Dritte Reich“ brachte

– ständig unter Lebensgefahr protestierte, wenngleich aus taktischen Gründen nicht immer öffentlich

– Hitler dessen einzige innenpolitische Niederlage beibrachte

– schon kurz nach dem Krieg die Versöhnung zwischen Juden und Christen vorantrieb

– durch sein umsichtiges Handeln Schaden von der Kirche, den Gemeinden und nicht zuletzt vielen durch das Naziregime Verfolgten abwendete

Bei den meisten Diskussionen und Artikeln wird zudem stets das Faktum außer Acht gelassen, dass das NS-Regime entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung beide christlichen Konfessionen nach dem „Endsieg“ durch Entchristianisierung eliminieren wollte.

Gerade diese Tatsache, die den Kirchenleitern beider Konfessionen im Laufe der Zeit immer bewusster wurde, macht ihr Handeln umso bemerkenswerter. Denn sich gegen eine Diktatur zu stellen, obwohl man weiß, dass man damit alles Erworbene bedroht, dazu gehört wohl nicht nur großer Mut, sondern auch tiefes Gottvertrauen.

Viele Meiser-Kritiker jedweder Couleur haben sich nicht die Mühe gemacht, die obigen Fakten, obwohl sie vorliegen, wirklich in ihrer Tiefe zu untersuchen. So wurden sie bewusst oder unbewusst verschwiegen und es kam ein Irrtum zum anderen, der stets weitergegeben wurde. Und weil auch eine Logik des Irrtums existiert, ist es nicht verwunderlich, dass die Demontage ihren Lauf nehmen musste. Doch darf die Forderung deshalb heute erneut lauten: „Fort mit Landesbischof Meiser!“, wie sie bezüglich der Bischof-Meiser-Straße(n) etwa auch die „Freien Christen für den Christus der Bergpredigt“ erheben, eine Organisation des „Universellen Lebens“, jener Sekte der Gabriele Wittek, die – nebenbei gesagt – selbst des Antisemitismus geziehen wird?

Wirklich fort mit Landesbischof Meiser?