Beziehung zu Prof. Dr. Meyer-Erlach
1.) Vorgaben
2.) Harmonie vor 1933
3.) Paradoxien im Kirchenkampf
4.) Nach 1945
In den Jahren des Kirchenkampfes tritt Hans Meiser eine weitere markante Gestalt gegenüber: Prof. Dr. Wolfgang (Wolf) Meyer, der sich auch Meyer-Erlach nannte. Der im I. Weltkrieg während der Schlacht bei Arras 1915 verschüttete und schwer verwundete angehende Pfarrer litt wie viele andere Deutsche unter der Niederlage des deutschen Heeres 1918 und der Demütigung, die dem deutschen Volk durch den Vertrag von Versailles 1919 zugefügt wurde. Seine Veröffentlichungen und Reden weisen ihn schon früh als begeisterungsfähigen, intelligenten und eloquenten Pfarrer aus, der sich auch als Freikorpskämpfer betätigte. Er verfasste unter dem Titel „Das deutsche Leid“ eine Tragödie über den Kampf im Ruhrgebiet und später die Schriftenreihe „Nordische Seher und Helden“. Gleichzeitig lebte er sich intensiv in das Luthertum der bayerischen Landeskirche ein. Die Kombination von Patriotismus und christlich-konfessionell geprägter Überzeugung war damals bei vielen Pfarrern und ihren Familien vorhanden: Auch sie waren Kinder ihrer Zeit und Glieder einer Generation, die einen Höhepunkt deutscher Machtentfaltung in Politik, Technik und Wirtschaft während des Zweiten Reiches und die dadurch bedingte nationale Begeisterung erlebt hatte. Umso schwerer trafen sie das Ende des I. Weltkrieges und die Wirren der Nachkriegszeit. Die Behandlung des deutschen Volkes durch die damaligen Siegermächte provozierte je länger desto heftiger eine Protesthaltung vieler Deutscher. So ist es leicht erklärlich, dass die „völkische“ Idee des Nationalsozialismus unter Hitlers Führung, verbunden mit einem schon länger schwelenden Antisemitismus in den Herzen vieler Deutscher Eingang fand. Hand in Hand damit entstand durch die im Russischen Reich 1917 ff. durch die Bolschewisten auch an den Gliedern der christlichen Kirchen verübten Gräueltaten ein tiefer Abscheu gegen den Marxismus, in dem Patrioten und entschiedene Angehörige der christlichen Kirchen jedenfalls zeitweise übereinstimmten. Noch zu Anfang des „Dritten Reiches“ war diese Synthese ernst gemeint.
Bei Meiser und Meyer kam auch noch die Verwurzelung in der lutherischen Staatsauffassung hinzu, die nicht nur Gehorsam gegenüber dem Staat gebot, sondern von diesem auch die Garantie für eine ungestörte, freie Verkündigung des Evangeliums erwartete. Gerade der letztere Aspekt spielt in der Kirchenpolitik Meisers eine maßgebliche Rolle.
Die so beschriebene Ausgangslage führte vor 1933, aber auch noch in der ersten Zeit nach der Machtergreifung Hitlers zu freundlichen Beziehungen zwischen den beiden Männern. Meyer hatte als Pfarrer von Würzburg-Heidingsfeld in seiner Tätigkeit zwei Schwerpunkte: die Volksmission und die Sozialarbeit. Beides lag auch Meiser, dem früheren (ersten) Landespfarrer der Inneren Mission in Bayern, sehr am Herzen. Dass Meyer mit Predigten und Andachten auch in die Rundfunkarbeit einstieg, war damals noch etwas Besonderes, da die Verkündigung durch technische Mittel für die Kirche Neuland war. Als Zeichen der Verbundenheit mit Meiser widmete Meyer ihm das 2. Bändchen seiner Rundfunkpredigten. Meiser dankte ihm am 24.5.1932 mit den Worten: „Ich schätze an Ihren Ansprachen, dass sie die zentralen Gedanken unseres evangelischen Glaubens so ohne Abstrich und zugleich in einer auch den modernen Menschen packenden Sprache darbieten und habe deshalb gerne meinen Namen für die 2. Reihe zur Verfügung gestellt. Dabei ist es mir nicht um meine Person zu tun, sondern darum, zu erkennen zu geben, dass sich auch die Kirchenleitung zu ihrem Dienst bekennt und für die neue Art das Evangelium zu verkünden mit Bewusstsein eintritt.“ Als es 1933 um die Nachfolge des Kirchenpräsidenten Friedrich Veit ging, dessen Rücktritt neben anderen auch Meyer forderte, und dafür neben Meiser auch der Erlanger Theologieprofessor Paul Althaus und der Hamburger Hauptpastor Simon Schöffel in Aussicht genommen wurden, setzte sich Meyer als Mitglied der NSDAP bei dem bayerischen Kultusminister Schemm dafür ein, das Meiser im Falle seiner Wahl auch von staatlicher Seite akzeptiert würde. Schemm antwortete ihm am 3.5.: „Das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus setzt sich für Meiser ein und hat die Überzeugung, dass es gelingen wird, Ihren Wunsch zu erfüllen.“
3.) Paradoxien im Kirchenkampf
Die Schilderung der „Vorgaben“ im ersten Abschnitt zeigt zugleich die Problematik auf, die in der Kombination von bewusstem Christentum und virulentem Patriotismus für die Deutschen vor und nach 1933 lag. Es ging dabei latent und bald auch sehr offen um die Frage, welcher der beiden Faktoren sich als dominant erweisen würde. Der politische Aspekt gewann bei Meyer schon bald nach Kriegsende das Übergewicht. Er stand zwar auf dem Boden der Hl. Schrift und des lutherischen Bekenntnisses, predigte aber schon seit 1923 „ewigen Hass zwischen Deutschen und Franzosen“ (Baier, „Die Deutschen Christen…“ S. 57). Noch vor 1933 hatte er sich der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ angeschlossen, deren Leiter er 1933 in Mittel- und Unterfranken, später auch für ganz Bayern wurde. Er war vom Nationalsozialismus besessen, was bei ihm exzessiv zur Verstrickung von geistlichem Auftrag und politischem Sendungsbewusstsein führte.
Noch aber glaubte er, dass Christentum und Nationalsozialismus sich miteinander vereinigen ließen. In einem Rundfunkvortrag am 4.5. äußerte er, dass Kirche und Revolution zusammengehörten. Daher sorgte er ohne Bedenken für die Gründung neuer Ortsgruppen der Deutschen Christen in Bayern. Es kommt in diesen Monaten noch mehrmals zu Kontakten mit der bayerischen Kirchenleitung. In den Gesprächen mit dem Landesbischof und seinen Mitarbeitern bezeugt er Meiser „Verständnis für die deutschen Christen“. Tatsächlich war es bei Meyer zu einem „Waffenstillstand“ gekommen, als Meiser seine Berufung in die Bayerische Landessynode akzeptierte. Damals hat Meyer sich mit den Deutschen Christen dem Landesbischof unterstellt und den deutsch-christlichen Ortsgruppen Eingriffe in die Kirchengemeinden verboten.
Meiser verhielt sich den Deutschen Christen in Bayern gegenüber noch abwartend, stellte ihnen aber neben der geforderten Unterordnung unter seine Führung noch die Bedingungen, den Bekenntnisstand unbedingt zu wahren und sich auf innerkirchliche Ziele (Gewinnung der durch die NSDAP Erfassten für die Kirche) zu beschränken (H. Baier, Chronologie, S. 32).
Da Meyer die Deutschen Christen in Bayern zu „moderat“ waren, schloss er sich dem radikalen Flügel dieser Bewegung in Thüringen an. Er gab im Herbst 1933 die Pfarrstelle in Heidingsfeld auf und übernahm am 1.11. den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Jena. Noch in Bayern hatte er im Blick auf den Weg des Kampfes (gegen die Kirche) geäußert: „Ich weiß, dass dann Mächte lebendig werden, die alle Abmachungen zerbrechen, ob der Mensch es will oder nicht… Dieser Weg lockt das Unmenschliche in mir.“ Diese programmatische Aussage sollte sich alsbald bewahrheiten. Einer der ersten Höhepunkte des Kampfes gegen Meiser war die Herausgabe der Schrift „Kirche oder Sekte“, in der er Meiser der theologischen Irreführung, Duldung und Ausübung des Vergehens an der Bibel und am Bekenntnis, an der Haltung Luthers und des Luthertums anklagte. Von Jena aus versuchte er, die bayerischen Pfarrer gegen ihren Bischof aufzuhetzen und sie zur Lösung ihres Treueides gegen Meiser zu bewegen. Auf dem Höhepunkt des Kirchenkampfes im Jahr 1934 beriet er mit Reichsbischof Ludwig Müller über die Absetzung Meisers; verschiedene deutsch-christliche Pfarrer forderten dessen Rücktritt, und Meyer empfahl sich selbst als Meisers Nachfolger. Insgesamt jedoch war dem Vorgehen Meyers kein Erfolg beschieden, da der überwiegende Teil der Pfarrerschaft sich hinter Meiser stellte.
Dass die von Meyer selbst vorausgesagte Dämonie ihn immer stärker ergriff, beweisen verschiedene Zeugnisse, in denen er sich zur Irrationalität verstieg. Auf einer Kundgebung der Deutschen Christen in Fürth am 31.1.1937 beleidigte er die bayerische Landeskirche in einer nicht wiederzugebenden Sprache. „In dieser Rede offenbarte sich ein berauschter und besessener Mensch“ (H. Baier, „Die Deutschen Christen“, S. 309). Innerlich hatte er sich längst von einer bekenntnisgebundenen Kirche losgesagt und vertrat, wenn es überhaupt noch eine Kirche geben sollte, nur noch eine konfessionslose. Während einer Rede in Bayreuth am 17.6.1941 erklärte er: „Wir Deutschen Christen kennen heute nicht mehr Evangelische oder Katholiken oder Deutschgläubige, sondern allein Deutsche“ (Baier, a.a.O., S. 348). Sein Hass gipfelte in der Bezeichnung der bayerischen Landeskirche als „Satanskirche“ und Meisers als „Antichrist“.
Nach dem Ende des II. Weltkrieges war Meyer seiner Professur in Jena entbunden worden. Wieder trat ein Wechsel der Gesinnung bei ihm ein. Er besann sich seiner theologischen Fundamente und versah ab 1951 noch zehn Jahre eine Pfarrstelle in Wörsdorf/Taunus. Auch mit Meiser kam er wieder in Kontakt. Er berichtete dem Bischof über seine Tätigkeit in Wörsdorf, wozu sich dieser anerkennend äußerte. Rache lag Meiser fern. Man hat ihm sogar verdacht, dass er ehemalige deutsch-christliche Pfarrer in den Dienst der bayerischen Landeskirche aufgenommen hat, wie z.B. Siegfried Leffler, der als Pfarrer aus dem bayerischen Kirchendienst 1927 freiwillig ausgeschieden und später Mitbegründer und Reichsleiter der Thüringer Deutschen Christen geworden war. Seit 1949 war er Amtsaushilfe in Bayern und von 1959 – 1970 Pfarrer in Hengersberg. So sah Meisers „Vergangenheitsbewältigung“ in neutestamentlichem Sinn aus. Am 5.7.1955 schrieb er an Meyer: „Seien Sie überzeugt, dass es mir, zumal jetzt in meinem Ruhestand, ferner denn je liegt, nachträglich mit Ihnen über das Vergangene zu rechten. Sie haben sich ja nicht gescheut, Ihren Irrtum und das Unrecht, das Sie begangen haben, ganz offen zu bekennen, offener als mancher andere, der dazu mindestens den gleichen Anlass gehabt hätte. Ich durfte Ihnen daraufhin dann ohne Vorbehalt von der Vergebung sprechen. Dieses Wort war von mir nie anders als ein vollgültiges Wort gemeint und soll es bleiben, solange ich lebe. Ich kann mich ja nur von Herzen darüber freuen, dass Sie so bewusst zu dem Wege der Lutherischen Kirche zurückgefunden haben und in dem theologischen und kirchlichen Wirrwarr unserer Tage so klar sehen.“ (Nachlass bei Familie Meiser)
Mit fast neunzig Jahren zieht Meyer in einem Brief an Oberkirchenrat Rudolf Meiser vom 4.3.1981 Bilanz und schreibt darin u.a. im Blick auf Landesbischof Meiser: „Es gibt nur ganz wenige Menschen, denen ich so nahe stehen durfte wie ihm. Und keinen, dem ich so bitter wehe getan habe wie ihm.“ Und schließlich: „Die theologische Umgebung Ihres Vaters, meine ganze Lebensgeschichte als Kind unter Führung einer streng katholischen Großmutter, nach meiner Bekehrung vom Atheisten zum entschiedenen Christen durch den schottischen Puritanismus ließ zwischen uns Gegensätze aufbrechen, die ich nie für möglich gehalten habe. Ich schrieb mein Buch „Kirche oder Sekte“ nicht als Kampfschrift gegen Ihren Vater, den ich stets verehrt habe und lebenslang verehre, sondern gegen seine theologische Haltung, die meiner ganz entgegengesetzt war und ist, obwohl er orthodox war wie ich es war und bin und sein werde bis an mein wohl nicht allzu fernes Lebensende. K. Barth ist tot. Die Deutschen Christen weggefegt. Aber die Bibel, das Bekenntnis ist wirksam wie eh und je. … Ich danke Gott, dass er (Meiser) volle Versöhnung zwischen uns geschaffen hat, wie seine Briefe beweisen.“